Brandenburgische Konzerte (Fritz Reiner, 1949) mit George Enescu in der Zugabe

Die »six concerts avec plusieurs instruments«, wie sie im Autograph heißen, schrieb Bach in seiner Zeit in Köthen. Gewidmet sind sie jedoch nicht seinem fürstlichen Dienstherrn, sondern dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg, dem sie auch ihren populären Namen verdanken. Ob der Graf die in Auftrag gegebenen Konzerte überhaupt spielen ließ, ist nicht bekannt. Ein Honorar jedenfalls hat Bach für seine Komposition nicht erhalten.

Sicher wird Bach sie mit seiner Köthener Hofkapelle gespielt haben, der er die Konzerte ganz offenbar auf den Leib geschneidert hatte. Die Instrumentation nimmt bis ins Detail Rücksicht auf die damalige Besetzungsstärke des fürstlichen Orchesters und die hochvirtuosen Soloparts lassen auf die Verfügbarkeit von hervorragenden Instrumentalisten schließen, mit denen Bach in Köthen musizierten konnte. Die Entstehungszeit liegt vermutlich im Zeitraum zwischen 1718 und 1721, wobei das sechste Konzert in Grundzügen wahrscheinlich schon viel früher existierte.

Die Brandenburgischen Konzerte sind einerseits Beispiele für Bachs Kenntnis des italienischen Concerto-grosso-Stils, dessen Eigenarten er eingehend studiert hatte und sehr schätzte, andererseits stehen sie der Kammermusik und dem Instrumentalkonzert nahe. Darüber hinaus gibt es die Ansicht, mit den Brandenburgischen Konzerten beginne das eigentliche Zeitalter der Orchestermusik. Reizvoll ist in jedem Fall die Stellung zwischen dem vitalen, wetteifernden Concerto und durchsichtiger, virtuoser Kammermusik.

Fritz Reiner
FRITZ REINER

Der Dirigent Fritz Reiner wurde 1888 in Budapest geboren und ausgebildet. Seine Laufbahn führte ihn von den Anfängen in Laibach über die Volksoper in Budapest an das Dresdner Opernhaus, an dem er von 1914 bis 1921 wirkte. Dann ging er nach Amerika und übernahm für die nächsten neun Jahre die Leitung des Cincinnati Symphony Orchestra. 1931 begann seine Lehrtätigkeit am renommierten Curtis-lnstitut, und daneben dirigierte er die großen Orchester von San Francisco, New York und Philadelphia. In den zehn Jahren zwischen 1938 und 1948 arbeitete er mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra und übernahm anschließend ein Gastdirigat an der Met in New York. Chicago war die letzte Station seiner Karriere: hier leitete er von 1953 an das Chicago Symphony Orchestra. Zehn Jahre später starb Fritz Reiner in New York.

VIOLINKONZERTE A-MOLL UND E-DUR

Auch zwei der drei heute bekannten Violinkonzerte (a-Moll und E-Dur) sind um 1720 in Köthen entstanden. Zu ihnen gibt es jeweils ein Gegenstück, bei dem das Cembalo an die Stelle der Solovioline tritt.

Bachs Vorbild war der von ihm hochverehrte Antonio Vivaldi, von dessen Violinkonzerten er allein zehn bearbeitete. Anders als viele seiner Zeitgenossen hatte Bach nicht die Möglichkeit, die Hochburgen alter und neuer Musik in Italien zu bereisen. Und so studierte er die Partituren italienischer Meister, die er oftmals für andere Besetzungen bearbeitete, um sie ganz erfassen zu können. Ein berühmtes Beispiel für diese Praxis ist sein Konzert für vier Cembali, BWV 1065, das sich auf ein Konzert für vier Violinen von Vivaldi bezieht.

Bach übernahm die Form des Vorgängers jedoch nicht streng, sondern löste zum Teil die starre Trennung zwischen Solo und Tuttistellen auf. So ermöglichte er eine tiefergehende Durchdringung der beiden Teile und gilt damit als Wegbereiter der großen Violinkonzerte, die sich ab Ende des 18. Jahrhunderts etablierten.

Yehudi Menuhin
YEHUDI MENUHIN

Als Kind südrussischer Emigranten wurde Yehudi Menuhin am 22. April 1916 in New York geboren. In Amerika von Louis Persinger ausgebildet ging er dann nach Europa, wo er sich zuerst in Paris unter die Fittiche des von ihm zeitlebens verehrten George Enescu begab und zwei Jahre später Schüler von Adolf Busch in Basel wurde.

Menuhin debütierte als Zehnjähriger am Manhattan Opera House. Doch als sein eigentliches Debüt, mit dem er seinen großen Durchbruch als Musiker hatte, gilt sein Auftritt unter Fritz Busch in der New Yorker Carnegie Hall am 25. November 1927. Menuhin hatte sich gegen Fritz Busch und namhafte Kritiker durchgesetzt und spielte Beethovens Violinkonzert. Er, der noch ein Kind war, bewies sich mit einer brillanten und ausgeglichenen Technik nicht nur als außerordentlicher Interpret, sondern er rief mit seiner reifen Auffassung des Beethovens-Konzertes allergrößtes Staunen und ebensolche Begeisterung hervor. An diesem Abend begann seine Weltkarriere.

Von nun an gab es unzählige Einladungen zu Konzerten in aller Welt. Die größten Dirigenten betrachteten es als Privileg, mit ihm musizieren zu dürfen. Sein Auftritt als Dreizehnjähriger in der Berliner Philharmonie, wo er drei Violinkonzerte (Bach, Brahms, Beethoven) spielte, wurde zur Legende: Menuhin, das staunenswerteste Wunderkind des Jahrhunderts, zog tausende von Menschen an und veranlasste Albert Einstein zu den Worten: »Nun weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt.«

Für seine Verdienste als Musiker und Humanist wurden Menuhin unzählige Ehrungen auf der ganzen Welt zuteil. Die bedeutendste darunter war die Erhebung in den Adelsstand durch Queen Elizabeth II. 1993. Nach einem Leben, das überreich an musikalischen Erfolgen war und das er selbst in persönlicher Hinsicht mit dem einfachen Satz: »Ich bin mit meinem Leben zufrieden« beschrieb, starb Yehudi Menuhin am 12. März 1999 in Berlin.

George Enescu

GEORGE ENESCU

Der am 19. August 1881 in Rumänien geborene George Enescu hat als Komponist und insbesondere als Violinist Weltruhm erlangt. Von berühmten Lehrern ausgebildet - zu ihnen gehörten u. a. auch Massenet und Fauré - hat er selbst außerordentlich erfolgreiche pädagogische Arbeit geleistet. Zu seinen Schülern gehörte auch Yehudi Menuhin, der ihn sehr verehrt hat. Auf seinen zahlreichen Konzertreisen als Violinvirtuose hat er sich als bedeutender Bach-Interpret einen Namen gemacht. George Enescu starb am 4. Mai 1955 in Paris.

Quelle: Ein Anonymus im Booklet

CD 1, Track 10: Konzert Nr. 4 G-Dur, BWV 1049 - I. Allegro


TRACKLIST

JOHANN SEBASTIAN BACH

BRANDENBURGISCHE KONZERTE
VIOLINKONZERTE

CDl 60:57
Brandenburgische Konzerte
Brandenburg Concertos

Konzert Nr. 1 F-Dur, BWV 1046
Concerto No. 1 in F Major, BWV 1046

1, I. Allegro Moderato 4:28
2, II. Adagio 4:41
3, III. Allegro 4:17
4, IV. Menuetto - Trio I - Polacca - Trio II 8:53

Konzert Nr. 2 F-Dur, BWV 1047
Concerto No. 2 in F Major, BWV 1047

5, I. Allegro Moderato 5:23
6, II. Andante 4:23
7, III. Allegro Assai 3:00

Konzert Nr. 3 G-Dur, BWV 1048
Concerto No. 3 in G Major, BWV 1048

8, I. Allegro Moderato 6:55
9, II. Allegro 3:12

Konzert Nr. 4 G-Dur. BWV 1049
Concerto No. 4 in G Major. BWV 1049

10, I. Allegro 6:45
11, II. Andante 4:21
12, III. Presto 4:31

Hugo Kolberg, Violine / Violin (1-4, 10-12)
Felix Eyle, Violine / Violin (5-7) - Weldon Wilber, Horn / Horn (1-4)
Robert Bloom, Oboe / Oboe (1-4, 5-7)
William Vacchiano, Trompete / Trumpet (5, 7)
Julius Baker, Flöte / Flute (5-7, 10-12) - Leonard Rose, Cello / Cello (6)
Fernando Valenti, Cembalo / Harpsichord (6)
Ralph Eichor, Flöte / Flute (10, 12)
Frederick Wilkins, Flöte / Flute (11) u.a. / among others

Fritz Reiner, Dirigent / Conductor
Aufg, / Recorded in 1949

CD 2 74:20

Konzert Nr. 5 D-Dur. BWV 1050
Concerto No. 5 in D Major. BWV 1050

1, I. Allegro 10:24
2, II, Affettuoso 5:21
3, III, Allegro 5:35

Konzert Nr. 6 B-Dur. BWV 1051
Concerto No. 6 in B flat Major, BWV 1051
4, I. Ohne Satzbezeichnung
Without movement heading 7:11
5, II. Adagio Ma Non Tanto 6:02
6, III. Allegro 5:34

Hugo Kolberg, Violine / Violin (1-3) - William Lincer, Violine / Violin (4-6)
Nicholas Bird, Violine / Violin (4-6) - Julius Baker, Flöte / Flute (1-3)
Sylvia Marlowe, Cembalo / Harpsichord (1-3) u.a. / among others

Fritz Reiner, Dirigent / Conductor
Aufg, / Recorded in 1949

Violinkonzerte
Violin Concertos

Konzert für Violine und Streicher A-Moll, BWV 1041
Violin Concerto in A Minor BWV 1041

7. I. Allegro 4:11
8. II. Andante 7:20
9. III. Allegro Assai 4:37
Aufg. / Recorded in 1936

Konzert für Violine und Streicher E-Dur, BWV 1042
Violin Concerto in E Major BWV 1042

10. I. Allegro 8:13
11. II. Adagio 6:52
13. III. Allegro Assai 2:54
Aufg. / Recorded in 1933

Yehudi Menuhin, Violine / Violin
Orchestre Symphonique de Paris
George Enescu, Dirigent / Conductor

CD 2, Track 11: Konzert für Violine und Streicher E-Dur, BWV 1042 - II. Adagio


Lob der Skepsis


Bisweilen bringt das Rechthaben das Übel erst hervor, vor dem es dringlich warnt.
Andreas Paul Weber: «Die grosse Pauke», 1935.
Je komplexer unsere Zeiten werden, desto wichtiger scheint die feste Überzeugung als Grundkraft allen Handelns zu sein. Die Skepsis geniesst dagegen keinen guten Ruf – zu Unrecht.

«Der Glaube versetzt Berge»: Diese biblische Lehre ist längst in unseren Alltag eingezogen und hat ihn bisweilen verwüstet. Der Einsatz der Kräfte, die Glaube und Überzeugung mobilisieren können, zählt zum Handwerk von Sportlern, Managern, Mentaltrainern und Politikern. Die Weltgeschichte weiss von den Wundertaten starker Überzeugungen: Kolumbus erreichte Amerika, Luther bot dem Papst die Stirn, Alan Turing knackte den Enigma-Code der deutschen Wehrmacht, Gandhi führte Indien in die Freiheit, Astronauten betraten den Mond. Kein Sportler bricht einen Rekord, kein Kletterer erreicht den Gipfel ohne den festen Glauben, dass der Streich gelingt. Wer etwas Grosses leisten will, darf sich nicht vom Zweifel anwandeln lassen.

Weder Furcht noch Zweifel

Erst recht gilt die Überzeugung als Grundkraft allen politischen Handelns. Ein Volk von Zögernden hätte nicht die Bastille gestürmt. Wer würde einen von Zweifeln angekränkelten Präsidenten wählen? Niemand folgt einem General, der nicht den Sieg verspricht. Führung verlangt wenigstens das Wortschauspiel der Gewissheit. Seit der Antike lehren die Meister der Rhetorik, dass vor allem das Überzeugungsvermögen den Erfolg des Redners in der Politik oder vor Gericht bestimmt. An diese Lehre haben sich Propheten, Tyrannen, Forscher, Spekulanten, Glaubenskrieger, Unternehmer, Päpste und Werbepsychologen gehalten.

Aber lässt sich auch der Überzeugte überzeugen? Dienen nicht der feste Glaube und die Gewissheit zur Immunisierung gegen den Gedanken, dass die Dinge vielleicht anders liegen? In seiner Lebensgeschichte «Beim Häuten der Zwiebel» erzählt der kürzlich verstorbene nobelpreisgekrönte Dichter Günter Grass von seiner Entscheidung als Jugendlicher, sich freiwillig für Hitlers SS zu melden. Während des Arbeitsdienstes, den er vorher zu leisten hatte, versäumte es der junge Führer-Gläubige, wie er schreibt, «das Zweifeln zu lernen». Die grossen Helden der Welt- und Literaturgeschichte kannten angeblich das Fürchten nicht. Aber schlimmer: Viele Akteure der neueren Geschichte, die zum Heil ihrer Welt in blutige Kriege zogen, von Napoleon über Wilhelm II. und Stalin bis zu George W. Bush, kannten den Zweifel nicht.

Andreas Paul Weber: ...und kommen nach kurzer
Pause wieder, 1934/1955
Und hat die Gewissheit, selbst wenn sie sich erst am Ende aller Tage bestätigt, nicht alles Recht auf ihrer Seite? Darf sie nicht im Namen ihres ehernen Glaubens und auf dem festen Boden der Wahrheit ein wenig lügen, dem Recht nachhelfen und dem Richter das Urteil soufflieren?

In den Fürstenlehren der Neuzeit und ebenso bei grossen politischen Theoretikern wie Hobbes, Locke, Rousseau, Bentham, Mill, Marx, Lenin, Max Weber findet der methodische Zweifel keine grosse Beachtung. Dabei führt das abendländische Denken eine starke skeptische Strömung von der Antike bis in unsere Zeit mit sich, zu der Sokrates, Pyrrhon von Elis, Cicero, Montaigne, Diderot, auf seine Weise auch Kant, Nietzsche oder Jacques Derrida zählen. Keiner von ihnen war Berater eines Kriegsherrn. Nie hat ein Skeptiker Armeen in Bewegung gesetzt.

Das Wort «Skepsis» ist griechischer Herkunft und bezeichnet das präzise Hinsehen, die sorgfältige Untersuchung, die Prüfung der gewonnenen Erkenntnis. Der Skeptiker ist nicht der verrufene «Bedenkenträger». Die skeptische Haltung pflegt nicht den prinzipiellen Zweifel, sie ist nicht der Feind, sondern der besonnenere Freund der Überzeugung. Kant nannte die Skeptiker «eine Art Nomaden», «die allen beständigen Anbau des Bodens verabscheuen». Tatsächlich stellt der Skeptiker in Rechnung, dass er den Boden der Grundsätze, auf dem er steht, bisweilen wieder verlassen muss. Skeptisch ist eine Haltung, die mit Vorbehalten lebt und sich vorstellen kann, dass die errungene Einsicht, die getroffene Entscheidung, der rechtliche Standpunkt überprüft und womöglich geändert werden müssen.

Erst die Neuzeit hat die Überzeugungskriege erfunden. Das Erobern, Plündern, Verwüsten hat die Kriegskunst immer schon beherrscht. Dafür mietete man geeignete Fäuste. Spätestens seit der Französischen Revolution rüsten sich die Volksheere mit neuen Mentalwaffen wie Recht, Freiheit, Vaterland oder Wahrheit. Mit falschen, zu Überzeugungen geschärften Wahrheiten gewinnt man Schlachten. Denn man vergesse nicht, dass auch Hitlers Kriege Überzeugungskriege waren: Die Lebensraumtheorie, der doktrinäre Rassismus, die Euthanasie wurden in akademischen Denklabors ausgebrütet.

Andreas Paul Weber: Jedem das Seine, 1960.
Manches wissenschaftliche Dogma führte eine stille Gewaltaufforderung mit sich. Es gibt nicht nur Fehlurteile vor Gericht, sondern auch Fehlurteile im Erkennen. Denn die Halbwertszeit wissenschaftlicher Erkenntnisse verkürzt sich unablässig. Nur der Wahn verleiht ihnen Unumstösslichkeit. Nie sei etwas Grosses in der Geschichte erreicht worden, seufzte Immanuel Kant, ohne dass auch Wahn im Spiele gewesen sei.

In der Philosophie ebenso wie in der Politik geniesst die Skepsis zumeist keinen guten Ruf. Wir kennen keine Helden, allenfalls Opfer des Zweifels. Immer schon sammelte die Überzeugung alle Bewunderung ein, und erst recht herrschen in der Epoche der Medien die Überzeugten über die Bildschirme. In jedem Rededuell trifft die Gewissheit schneller. Die Überzeugung verbraucht kaum Zuschauer-Aufmerksamkeit und benötigt weniger Zeit als der Vorbehalt, der sich bisweilen langatmig zwischen Ja und Nein ausbreiten muss. Die biblische Devise «Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel» wollte eigentlich nur das Schwören verwerfen, aber der Satz wurde zu einem Dogma des Glaubens umgearbeitet, der sich keine Bedenken erlauben darf.

Zu wetten wagen

Heute hat die Überzeugungsgewalt ein völlig neues Gesicht angenommen, das sich in den Kriegen Nordafrikas und des Nahen Ostens, aber auch in der vom Terror bedrohten westlichen Welt zeigt. Es ist zu spät, die Fanatiker von al-Kaida oder des Islamischen Staats in eine Schule der Skepsis zu schicken. Wo Politik oder Religion den Zweifel zur Todsünde erklären, ist jede Aufklärung machtlos. Aber ist der Zweifel damit entwaffnet? Der Skeptiker Kant empfahl einmal, den festen Glauben und seine Gewissheiten zu testen: Was wettest du auf die Richtigkeit deiner Überzeugung? Ein Goldstück, zehn, tausend, eine Million oder vielleicht dein Leben? Ganz nach diesem Ratschlag könnten wir unseren Bankberater fragen, was er auf den Erfolg seiner Empfehlung setzt. Oder den Klimaforscher, welchen Betrag er für seine Theorie zum Klimawandel wagt. Wie viel wettet Ministerpräsident Alexis Tsipras darauf, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt?

Andreas Paul Weber: Zwischen den Stühlen, 1951
Allerdings ist das Missverständnis zu vermeiden, dass hier dem sogenannten «Euroskeptiker» Rückhalt gegeben werden soll. Der Euroskeptiker ist ein Gegner der Gemeinschaftswährung. Das ist seine Meinung, seine Überzeugung. Hier ist «Skepsis» ein Euphemismus. Die häufig angeführte Feststellung «British people reject the euro and are sceptical about EMU» überschreibt den korrekten Satz: «Die britische Bevölkerung lehnt die europäische Währungsunion ab.» Dabei können selbstverständlich auch Skeptiker allem Möglichen zustimmen oder es ablehnen. Und womöglich haben die Briten ja recht. Bisweilen bringt das Rechthaben jedoch erst das Übel hervor, vor dem es dringlich warnt. Dann ist dieses Rechthaben und nicht die angebliche Skepsis die Wurzel des Übels. Die Skepsis, der unser Lob gilt, leistet hingegen einen prinzipiellen Verzicht auf dogmatische Positionen. Sie ist indes selbst eine Überzeugung, da sie mit der Kontingenz von Entscheidungen und mit der befristeten Gültigkeit von Erkenntnissen rechnet.

Es wäre viel gewonnen, wenn in den kleinen und grossen Fragen der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft, wo die riskanten Spiele und Versprechungen die Maske moralischer, politischer und wissenschaftlicher Gewissheiten tragen, der Skepsis, der zweiten Prüfung, der Zeit und dem wiederholten Nachdenken neues Ansehen verschafft würden. Dies gilt zumal in einer Epoche, wo wissenschaftliche Vollmundigkeit die Lösung letzter Fragen in Aussicht stellt: was das Bewusstsein ist, wo der Kosmos seinen Anfang nahm, wie die Materie in ihrem Innersten gebaut ist, was das Leben ist. Wenn Wissenschafter aus Theorien Gewissheiten machen, sind die Laien gehalten, in die Schule des Zweifels zu gehen. Der Glaube versetzt Berge; die Skepsis lässt sie stehen.

Quelle: Manfred Schneider: Die Tugend des Nach-Fragens. Lob der Skepsis. In: Neue Zürcher Zeitung vom 11.07.2015

Prof. Dr. Manfred Schneider lehrt deutsche Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. 2013 ist bei Matthes & Seitz sein Buch «Transparenztraum» erschienen.

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Wolfgang Kemp gibt einen Einblick in die Kunstszene. Bebildert von Miro, bespielt vom Kodály Quartet Budapest.


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