Der zweite Teil, an Weite und Tiefe der dichterischen Phantasie, Fülle der bildhaften Vision und Polyphonie der theatralischen Erscheinung dem ersten überlegen, ist wegen des Überreichtums an Bildungsstoff, den er neben seiner Weltschau enthält, gleichwohl weniger in die Breite gedrungen als der erste, der bei aller Sternenhöhe des Dichterischen im Dramatischen leicht überschaubar und stets auf eine fassbar nahe menschliche Mitte bezogen bleibt. Darum fiel die Wahl für die erste zusammenhängende Aufnahme eines für die Sprechbühne geschriebenen Werkes auf »Faust I«; denn wenn man in einer Zeit, in der das Vertrauen zum Wort aus vielen Gründen weitgehend verlorengegangen ist, wieder neues Vertrauen dafür schaffen will, muß man es mit einem bekannten und verständlichen Wort tun.
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Gustav Gründgens |
Die hier vorliegende Wiedergbe aber stellt die Interpreten nicht als Selbstzweck heraus, sondern sie stellt sie in den Dienst der Dichtung als Sprachkunstwerk. Ihr Ziel ist, nur mit den Mitteln der Sprache das Drama ebenso zu verlebendigen und gegenwärtig zu machen, wie es die Aufführung auf der Bühne mit den Mitteln des Theaters tut. Sie beabsichtigt dabei keinesfalls, »Faust I« als eine Art konservatives Hörspiel darzubieten; man wird erkennen, dass auf die akustischen Illusionsmittel, die bei einer Funksendung durchaus angebracht wären, weitgehend verzichtet ist, um das Wort allein aus seiner Intensität wirken zu lassen. Bewußt und absichtlich wird hier an den Hörer appelliert, sein Ohr für das Wort bereit zu machen und es darauf einzustimmen.
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Paul Hartmann |
In ihrem ständigen Bezug auf das Wesenhafte der Dichtung rechtfertigt diese Aufnahme auch ihre Striche; sie sind nicht zuerst als »Kürzungen« zu verstehen, sondern als Hilfsmittel der Sinndeutung. So wird z.B. im Osterspaziergang alles weggelassen, was lediglich Farbe gibt, und gesprochen wird nur, was sich unmittelbar auf Faust bezieht, wie die Dankrede des alten Bauern nach dem Tanz unter der Linde. Es ist keine Konzentration, um »Zeit zu gewinnen«, sondern um den inneren Atem der Dichtung hörbar zu machen.
Die Schallplatte im Dienst des Wortes - so nahe der Gedanke liegt, sie nach einem halben Jahrhundert fast ausschließlicher Verwendung für die Musik dafür zu gewinnen, eines so nachdrücklichen Entschlusses bedurfte es, um das Monopol der Töne und der singenden Stimme zugunsten der »nur« sprechenden zu brechen. Dahinter steht die Überzeugung, dass es in dieser ebenso wortscheuen wie wortverschwenderischen Zeit doch genug Menschen gibt, die es verlangt, dem Wort lesend zu begegnen, und die darum bereit sind, ihm wie ihr Auge auch ihr Ohr zu öffnen. Insbesondere ist dabei an junge Menschen gedacht, die, wie aus vielen Äußerungen von Schülern und Studenten hervorgeht, geradezu leidenschaftlich um ein neues, von Verdächtigungen freies und im Ursprünglichen gründendes Verhältnis zum Wort bemüht sind.
Quelle: Karl Heinz Ruppel, zur Erstveröffentlichung 1954 (aus dem Booklet)
Faust I online
Einführung und Text bei Sternenfall
Text DigBib
Text bei Gutenberg (Spiegel)
Ebook von Gutenberg
Faust I, CD 1, Track 3: Vor dem Tor (Osterspaziergang)
TRACKLIST
Johann Wolfgang von Goethe
FAUST
DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL
In der Gründgens-Inszenierung am Alten Düsseldorfer Schauspielhaus
CD 1 [71:33]
01. Prolog im Himmel 7:00
02. Nacht (Faust Monologe) 16:25
03. Vor dem Tor (Osterspaziergang) 7:06
04. Studierzimmer 32:19
05. Auerbachs Keller in Leipzig 8:22
CD 2 [76:09]
01. Hexenküche 5:59
02. Straße 3:24
03. Abend, ein kleines reinliches Zimmer 7:32
04. Spaziergang 2:44
05. Der Nachbarin Haus 7:34
06. Straße 2:38
07. Garten 7:09
08. Ein Gartenhäuschen 0:57
09. Wald und Höhle 4:56
10. Gretchens Stube 1:26
11. Marthens Garten 6:12
12. Am Brunnen 2:03
13. Zwinger 1:46
14. Nacht, Straße vor Gretchens Türe 5:45
15. Dom 3:09
16. Trüber Tag, Feld 1:49
17. Kerker 9:59
Laufzeit: 2:27:42
Faust: Paul Hartmann
Mephisto: Gustaf Gründgens
Margarete: Käthe Gold
Marthe Schwerdtlein: Elisabeth Flickenschild
Raphael: Max Eckard
Gabriel: Hansgeorg Laubenthal
Michael: Ullrich Haupt
Der Herr: Peter Esser
Erdgeist: Gerhard Geisler
Wagner: Rudolf Therkatz
Alter Bauer: Paul Maletzki
Schüler: Karl Viebach
Frosch: Kurt Weitkamp
Brander: H. Müller-Westernhagen
Siebel: Gerhard Geisler
Altmayer: Siegfried Siegert
Hexe: Maria Alex
Meerkatze: Piet Clausen
Meerkater - Lieschen: Ursula Dinggräfe
Valentin: Max Eckard
Böser Geist: Sybille Binder
Stimme von oben: Walter Czaschke
Aufnahme-Regie: Peter Gorski
Musik: Mark Lothar
Aufnahme: 1954
Faust I, CD 2, Track 7: Garten
Diese Aufnahme dokumentiert ein Ereignis der Theatergeschichte: die Widerlegung der Legende von der Unaufführbarkeit des »Faust II«. Als Gustav Gründgens im Mai 1958 seiner ein Jahr vorher mit Überraschung und Begeisterung aufgenommenen Inszenierung des ersten Teils der Tragödie am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg die des zweiten Teils folgen ließ, waren Kenner und Liebhaber des Theaters sehr glücklich. Was zahllose Kommentatoren, bestätigt von vielen unglücklichen Inszenierungsversuchen, für unmöglich gehalten hatten – hier wurde es Ereignis. »Faust«, der Tragödie erster und zweiter Teil, erwies sich nicht nur unsterblich als Dichtung, sondern von gegenwärtiger Wirkung als Theaterstück.
Zwei Momente mussten zusammenkommen, damit dieses Ereignis glücken konnte: Einmal die moderne Einsicht, dass Theater Spiel ist, und, im Gegensatz zu den Produktionen der Apparte (Film, Fernsehen), der szenischen Illusion nur in geringem Maße bedarf.
Dann aber der Zusammenbruch des Fortschrittsoptimismus, der in Faust das Idol des faustischen, des schaffenden und welterobernden modernen Menschen gesehen hatte und dem Untertitel »Tragödie« geflissentlich aus dem Wege gegangen war. Spiel und Tragödie sind Formen des Theaters; die philosophisch-weltanschauliche Auslegung hatte die Form des Spiels – eine Wette, deren Ausgang mit Spannung erwartet wird – und die Form der Tragödie – Fausts Ende als Scheitern eines vom Tode her überschaubaren Lebens – so in den Hintergrund gedrängt, dass die Aufführungen nicht in der Lage gewesen waren, die spezifischen Gesetze eines Theaterabends zu erfüllen.
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Gustav Gründgens, Will Quadflieg |
Im Vorspiel tritt klar zutage, dass Goethe ein Spiel im Auge gehabt haben musste, das weder der Form der antiken Tragödie noch der des elisabethanischen (Shakespeare-)Theaters entsprach. Was er bei den Puppen und auf den Jahrmärkten gesehen hatte, wollte er im »Faust« lebendig machen. In einem Brief an Kleist heißt es: »Auf jedem Jahrmarkt getraue ich mich, auf Bohlen über Fässer geschichtet … der gebildeten und ungebildeten Masse das höchste Vergnügen zu machen«.
Dies entsprach nun genau den Vorstellungen der modernen Theaterrevolutionäre, die seit 1910 gleichzeitig in vielen Metropolen der Welt der Bühne ein neues Gesicht zu geben versuchten, ein Gesicht, das sich sowohl von dem des alten Guckkastentheaters (bei dem man durch die offene vierte Wand, wie durch ein Fenster in eine vom Publikum weit entfernte, aber völlig reale Welt zu sehen geglaubt hatte) wie von dem der Film-Leinwand dadurch unterscheiden sollte, dass es die allein dem Theater eigentümliche und von den Apparaten nicht erreichbaren Elemente in den Vordergrund rückte.
In einer Inszenierung des Vorspiels auf dem Theater und des Prologs im Himmel gab Gründgens ein Beispiel dieser modernen Auffassung. Er hatte auf der normalen Bühne des Hamburger Schauspielhauses eine zweite, kleinere Bühne aufschlagen lassen, ein Bretterpodium »Bohlen über Fässer« -, auf dem Direktor, Lustige Person (Harlekin) und Dichter auftraten, um dann auf offener Bühne die Kostüme anzulegen, die sie im Spiel zu tragen hatten: der Direktor Bart und Mantel Gottvaters, Harlekin die mephistotelischen Embleme und der Dichter die Gelehrtentracht Fausts. Und auf dem Brettergerüst wurden jene Andeutungen aufgebaut, die völlig hinreichen, um den Ort der Szene zu charakterisieren. Diese illusionslose Szenerie die sich mit Chiffren, mit Zeichen begnügt, um die Phantasie der Zuschauer in Bewegung zu setzen, und diese Verwandlung von Spielern in Personen, die von Anbeginn das eigentlich dramatische Element des Theaters gewesen war, schufen die technischen und geistigen Voraussetzungen fur einen Gesamtablauf der Tragödie, die nun nicht mehr, wie meist früher, in einzelne Stücke auseinanderfiel, sondern von einer durchgehenden Spannung vorangetragen wurde, bis zu jenem Ende, auf das wir jetzt zu sprechen kommen.
Quelle: Anonymus (Karl Heinz Ruppel?, Siegfried Melchinger?), im Booklet
Faust II online
Text bei Gutenberg (Spiegel)
Ebook von Gutenberg.org
Text bei DigBib
Text bei Wikisource
Faust II, CD 1, Track 7: 2.Akt: Studierstube
TRACKLIST
Johann Wolfgang von Goethe
FAUST
DER TRAGÖDIE ZWEITER TEIL
In der Gründgens-Inszenierung des Deutschen Schauspielhauses Hamburg
CD 1 [64:39]
1. Akt
01. Anmutige Gegend, Kaiserliche Pfalz 4:17
02. Thronsaal 7:23
03. Weitläufiger Saal mit Nebengemächern 12:35
04. Lustgarten 4:36
05. Finstere Galerie 5:13
06. Rittersaal 5:28
2. Akt
07. Studierstube 6:06
08. Laboratorium, Klassische Studierstube 3:53
09. Pharsalische Felder 14:36
CD 2 [71:04]
3. Akt
01. Vor dem Palaste des Menelaos zu Sparta 19:29
02. Arkadien 10:18
4. Akt
03. Hochgebirg 6:04
04. Auf dem Vorgebirg 1:31
05. Kaiserzelt 3:19
5. Akt
06. Offene Gegend 3:21
07. Palast 3:06
08. Tiefe Nacht 2:16
09. Palast 5:08
10. Großer Vorhof des Palastes 3:41
11. Grablegung 5:46
12. Bergschluchten 6:28
Laufzeit: 2:14:43
Faust: Will Quadflieg
Mephisto: Gustaf Gründgens
Ariel: Ullrich Haupt
Kaiser: Sebastian Fischer
Kanzler: Gerhard Bünte
Heermeister: Kurt Langanke
Schatzmeister: Fritz Wagner
Marschalk: Benno Gellenbeck
Herold: Ullrich Haupt
Mutter: Maria Becker
Trunkner: Hermann Schomberg
Furcht: Hannelore Koblentz
Hoffnung: Ursula Lillig
Klugheit: Solveig Thomas
Knabe Wagenlenker: Volker Brandt
Narr: Ludwig Linkmann
Helena: Antje Weisgerber
Famulus: Ulrich Erfurth
Baccalaureus: Uwe Friedrichsen
Wagner: Eduard Marks
Erichtho: Maria Becker
Chiron: Hermann Schomberg
Manto: Hannelore Koblentz
Empuse: Ella Büchi
Dryras: Ursula Lillig
Panthalis: Herta-Maria Gessulat
Lynceus: Ullrich Haupt
Euphorion: Volker Brandt
Raufebold: Uwe Friedrichsen
Habebald: Rudolf Fenner
Haltefest: Eugen Klimm
Kundschafter: Hubert Hilten
Wandrer: Hermann Schomberg
Baucis : Elly Burgmer
Philemon: Joseph Offenbach
Mangel: Margund Sommer
Schuld: Herta-Maria Gessulat
Sorge: Maria Becker
Not: Elisabeth Goebel
Pater Ecstaticus: Volker Brandt
Pater Profundus: Hermann Schomberg
Doctor Marianus: Will Quadflieg
Una Poenitentium sonst Gretchen genannt: Antje Weisgerber
Mater Gloriosa: Maria Becker
Aufnahme-Regie: Peter Gorski
Musik: Mark Lothar
Aufnahme: 1959
Faust II, CD 2, Track 10: 5. Akt: Großer Vorhof des Palastes
Linktipp: Albrecht Dürer: Apokalypse – Ritter, Tod und Teufel
Nach ihm wurde eine Epoche benannt: die Dürerzeit. An der Schwelle von Mittelalter und Neuzeit schuf der berühmte Nürnberger die Holzschnitte zur Apokalypse und die drei Meisterstiche, Meilensteine der altdeutschen Kunst.
Für die Kunstgeschichte gilt Dürer als der Künstler, der die Renaissance – also ein neues Verhältnis zum Menschen und seinem Körper – in den Norden brachte. Aus diesem Blickwinkel scheint es fast eine störende Zutat zu sein, wenn er z.B. seinen vier Frauenakten von 1497 Tod und Teufel zugesellt.
Hier soll eine andere Annäherung an Dürer versucht werden. Nicht der Künstler der Neuzeit, der viele Akte und die ersten reinen Landschaftsaquarelle schuf, wird hier in den Blick genommen, sondern Dürer als mittelalterlicher Meister, als Apokalyptiker, der mit Tod und Teufel auf vertrautem Fuß stand.
Hierbei steht sein druckgrafisches Werk im Vordergrund, seine Holzschnitte und Kupferstiche. Besonders werden seine drei Meisterstiche vorgestellt, der Ritter, Tod und Teufel, die Melencolia I. und der Hieronymus im Gehäus, sowie seine Holzschnittfolge zur Apokalypse.
[Weiterlesen auf der exzellenten Internetseite von Dietwald Doblies]
CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 107 MB
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